Lesepult (Ambo)
Es
ist vermutlich das unscheinbarste Kunstwerk in unserer Kirche – das Lesepult am
Rand des Altarraums. Wie die übrige Kirche in warmen goldbraunen Tönen
gehalten, fällt es vor dem alles überragenden Altar kaum auf. Oft muss man den
Blick von Kindern oder Erwachsenen bei Kirchenführungen erst darauf lenken.
„Was seht ihr hier vorne? Was stellt das Pult eurer Meinung denn dar?“ Und
meist kommen dann zwei unterschiedliche Antworten: „Eine Blume“ sagen die
einen, „ein Mensch“ die anderen oder auch: „Das ist ein Engel“.
Ob
der Bildhauer Reinhard Fuchs, der das Lesepult 1986 geschaffen hat, eine
bestimmte Deutung beabsichtigt hat, weiß ich nicht – aber gerade in seiner
deutungsoffenen Gestalt gefällt es mir. Beide Bilder passen gut zu dem, wozu es
da ist.
Vom Lesepult aus wird in jedem Gottesdienst aus der Bibel
gelesen, auch die Predigten werden von dort aus gesprochen. Es ist der Ort, von
dem aus das Wort Gottes zu den Menschen kommt. Der Engel, den manche in der
Figur erkennen, macht sichtbar, dass hier eben nicht nur Menschenwort
gesprochen wird, sondern Gottes gute Botschaft zu den Menschen. „Siehe, ich
verkündige euch große Freude“, sagen die Engel in der Weihnachtgeschichte –
Freude, gute Botschaft hören die, die im Gottesdienst der Lesung oder der
Predigt folgen. Der Bergkristall im Zentrum der Figur symbolisiert den Geist
oder das Licht Gottes, das manchmal in unserem Alltag aufscheint – am ehesten
dann, wenn wir uns unserer eigenen Mitte nähern.
Wenn
die Gemeinde der Lesung zuhört, sieht sie im Blick nach vorne am Pult eine sich
nach oben öffnende Gestalt. Die Hörenden begegnen hier sozusagen sich selbst –
es ist ein Idealbild: wer das Wort Gottes hört, kann sich nach oben öffnen, wie
ein Blume seine Blütenblätter öffnet oder ein Mensch sich dem Himmel
entgegenstreckt. Von oben wird er mit den Gaben des Himmels gesegnet. „Denn
gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin
zurückkehrt, sondern feuchtet die Erden und macht sie fruchtbar, so soll das Wort,
das aus meinem Munde geht, auch sein.“ Dieses Wort aus dem Jesajabuch
finde ich im dem Lesepult gestaltet. Es verweist auf die vielen Blumen, die
ringsum im Stadtpark blühen. Doch während draußen die Blumen mit der Jahreszeit
aufblühen und verwelken, besteht die Möglichkeit sich zu Gott hin zu öffnen für
die Besucher der Kirche das ganze Jahr hindurch.
„Engel“
oder „Blume“ oder noch etwas ganz anderes? Schauen Sie doch selbst beim nächten Besuch in der Kirche, was Sie in dem Lesepult
erkennen.
Ihre
Pfarrerin Irene Stooß-Heinzel